Ernst Wolf wurde am 26. Oktober 1914 als Sohn des späteren Staatsbankdirektors Paul Wolf und dessen Ehefrau Frieda, geb. Moeller, in Meiningen (Thüringen) geboren. Er besuchte von 1921 bis 1925 die Bürgerschule und anschließend das Reform-Realgymnasium in Meiningen, an dem er 1934 das Abitur ablegte. Nach halbjährigem Pflichtarbeitsdienst studierte er zwei Semester in Frankfurt am Main und anschließend sechs Semester in Berlin Rechtswissenschaft. Wesentliche Nebengebiete waren Wirtschaftswissenschaften und Philosophie. In die erste Studienzeit fiel seine Beziehung zu einem Kreis von Persönlichkeiten, darunter Thomas Mann, die sich dem Dritten Reich widersetzten. Im Zusammenhang damit hatte Ernst Wolf zwei Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das sog. Heimtückegesetz durchzustehen, die in den Jahren 1936 und 1937 zu seiner wiederholten längeren Inhaftierung durch die "Geheime Staatspolizei" (Gestapo) im Konzentrationslager Bad Sulza und im Reichssicherheitshauptamt in Berlin führten. Er sollte wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem Volksgerichtshof angeklagt werden und mußte mit Todesstrafe rechnen. Nach einem Selbstmordversuch wurde er überraschend aus der Gestapo-Haft entlassen.

Im Juli 1938 legte Ernst Wolf am Kammergericht Berlin die erste juristische Staatsprüfung ab. Anschließend ging er nach Frankfurt am Main zurück, um hier bei dem damaligen Ordinarius für Bürgerliches Recht und Handelsrecht Professor Ruth zu promovieren. Ende 1938 wurde er zum Gerichtsreferendar ernannt und begann den juristischen Vorbereitungsdienst am Amtsgericht Königstein. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Frankfurt am Main nahm ihn als wissenschaftliche Hilfskraft an und betraute ihn ? neben dem juristischen Vorbereitungsdienst bei der Justiz ? mit der Abhaltung von juristischen Vorbereitungs- und Wiederholungskursen. Als nach Kriegsbeginn wegen Einberufung mehrerer Mitglieder der Fakultät die Gebiete des Arbeits- und Handelsrechts gänzlich verwaist waren, unterzog sich Ernst Wolf auf Wunsch der Fakultät am 5. Januar 1940 vorzeitig der Promotion (Thema der Dissertation: "Die Bürgschaft für laufenden Geschäftskredit, insbesondere beim Wechsel des Geschäftsinhabers"). Tags darauf hielt er seine erste Vorlesung. Er las Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht und Handelsrecht und hielt die Übungen im Arbeitsrecht ab.

Im Juni 1940 wurde er zum Heeresdienst eingezogen, drei Monate später zur Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit im letzten Trimester 1940 vorübergehend entlassen. Im Januar 1941 erneut einberufen kam er nach Frankreich, später nach Polen und nahm als Gefreiter am Feldzug in Rußland teil. Im Oktober 1941 erlitt er in der Nähe von Charkow einen schweren Unfall, der zu langwierigem Lazarettaufenthalt und schließlich im Sommer 1943 wegen einer zurückgebliebenen Knieverletzung zu seiner Entlassung aus dem Heeresdienst führte. Ernst Wolf wurde zum Assessor (K) ernannt und nahm die Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt wieder auf. Er war Assistent bei Professor Schiedermair und begann auf Anregung von Professor Fritz von Hippel die Arbeit an seiner Habilitationsschrift über das Thema "Die Generalklausel im Schadensersatzrecht". Im Jahr 1944 wurde ihm von der juristischen Fakultät der Universität Greifswald angeboten, den dortigen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht zu vertreten und später ? nach der Habilitation ? zu übernehmen; er mußte dies jedoch ablehnen, da mit einem Universitätswechsel eine politische Überprüfung verbunden gewesen wäre. Im letzten Kriegshalbjahr vertrat er während des relativen Stillstandes des Lehrbetriebs an der Frankfurter Universität einen Königsteiner Rechtsanwalt. Nach Einmarsch der amerikanischen Truppen wurde er in den Königsteiner Bürgerrat berufen und arbeitete am Wiederaufbau der Stadtverwaltung mit.

Im Februar 1946 wurde die Universität Frankfurt wieder eröffnet. Die Fakultät übertrug Ernst Wolf erneut bürgerlichrechtliche Vorlesungen und Übungen. Im Mai 1946 wurde er habilitiert und erhielt die venia legendi für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie. Referenten waren die Professoren Gerhard Schiedermair und Franz Böhm. Danach übernahm Ernst Wolf neben einer umfangreichen Lehrtätigkeit zeitweise die Geschäfte eines kommissarischen Universitätsrates. Im Februar 1947 wurde ihm durch den Dekan, Professor Richard Lange, die Übernahme eines Ordinariats für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Jena angetragen. Gleichzeitig erhielt er eine Anfrage des Hessischen Kultusministers, ob er bereit sei, als Hochschulreferent in das Ministerium einzutreten. Aufgrund einer namens des Senats der Universität Frankfurt an ihn gerichteten Bitte des damaligen Rektors Walter Hallstein entschied er sich für das zweite. Im August 1947 wurde ihm neben dieser Tätigkeit im Kultusministerium die Vertretung des auf Antrag der Frankfurter Fakultät neu errichteten Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie übertragen. Im Februar 1948 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Kurz darauf bat er wegen eines Konflikts der Frankfurter Rechtswissenschaftlichen Fakultät mit dem Kultusminister um seine Entlassung aus den Diensten des Ministeriums und nahm ausschließlich die Aufgaben des ihm übertragenen Lehrstuhls wahr. Im Jahre 1951 folgte die Ernennung zum beamteten außerordentlichen Professor in Frankfurt am Main. Aufgrund der Zusammenarbeit mit einer Austauschgruppe amerikanischer Kollegen über Fragen der Ehestabilität und des Scheidungsrechts ging Ernst Wolf 1954 für ein halbes Jahr als Gastprofessor nach Chicago/USA und arbeitete dort vor allem mit Max Rheinstein zusammen.

1955 nahm er einen Ruf als ordentlicher Professor auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Rechtsphilosophie an der Philipps-Universität in Marburg an. Ebenfalls 1955 wurde er in den vom Deutschen Bundestag eingesetzten Personalgutachterausschuß für die Bundeswehr zur Überprüfung der in die Bundeswehr einzustellenden Obersten und Generäle berufen, dem er bis zu dessen Auflösung 1959 angehörte. Von 1955 bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 1983 war Ernst Wolf Direktor des Instituts für Arbeitsrecht der Marburger Universität.

In den hochschulpolitischen Wirren Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre trat er nachdrücklich für die Freiheit von Forschung und Lehre ein; er wurde deshalb jahrelang scharf angegriffen und hatte viele zermürbende Kämpfe ? auch verbunden mit gerichtlichen Auseinandersetzungen ? zu bestehen. Unter seiner Mitwirkung war das von annähernd 1700 Hochschullehrern unterzeichnete Marburger Manifest vom 17. 4. 1968 gegen die Politisierung und sog. Demokratisierung der Hochschulen entstanden.

Der wissenschaftliche Weg und das Werk Ernst Wolfs sind gekennzeichnet von der Suche nach Antworten auf die Fragen: Was ist Recht, und wie kann Recht erkannt werden? Schon von seiner wissenschaftlichen Ausbildung durch Werner Sombart, Kurt Georg Kiesinger und Gerhard Schiedermair her ist Ernst Wolf ein streng logisch-systematischer Methodiker. Als solcher gewann er wenige Jahre nach seiner Habilitation die Überzeugung, daß entgegen der damals wie heute bestehenden allgemeinen Ansicht die Rechtslehre nicht idealistisch begründbar ist. Damit begann für ihn eine intensiver Grundlagenforschung gewidmete Phase wissenschaftlichen Arbeitens. Erste Ansätze einer realistischen Rechtsauffassung enthält bereits der 1954 im Archiv für die civilistische Praxis erschienene Aufsatz "Rücktritt, Vertretenmüssen und Verschulden", in dem er sich gegen die Auffassung vom Schuldverhältnis als einem Organismus, Gefüge oder Prozeß wandte, weil das Schuldverhältnis kein "selbständiges außermenschliches Gebilde", sondern eine "wesenhaft menschliche Beziehung" sei. Mit den Darlegungen zum Rücktritt setzte er auch seine Lehre durch, daß das Schuldverhältnis durch Rücktritt nicht beendet wird, sondern unter Wahrung seiner Identität inhaltlich geändert als Rückabwicklungsverhältnis fortbesteht.

1955 ging er in dem zusammen mit Naujoks verfaßten Buch "Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen" erstmals von der Existenz "natürlicher", "angeborener Rechte" aus und wandte sich damit gegen den Gesetzespositivismus: "Das Verhältnis ist nahezu umgekehrt, wie der Gesetzespositivismus annimmt. Dieser lehrt, daß das Gesetz die Rechtssubjekte und die subjektiven Rechte erzeuge und den von ihm so erschaffenen Subjekten ebenso produzierte subjektive Rechte zuweise. In Wahrheit ist der Mensch der unableitbare und unaufhebbare Ursprung des Rechts. Er bringt Recht und Staat, die von Natur in ihm angelegt sind, hervor. Kein Gesetz und kein Staatswille könnten rechtlich binden, wenn es nicht ursprüngliches, natürliches Recht des Menschen gäbe." Für die Begriffsbildung forderte Ernst Wolf in diesem Buch, die Begriffe müßten "den Gegenstand treffen, den sie erfassen wollen. Wissenschaftliche Begriffe sind auf Seiendes gerichtet, folglich auf die natürliche Wirklichkeit angewiesen. Sie dürfen sich nicht von dieser lösen, natürlich gegebene Sachverhalte nicht verleugnen oder entstellen. Wo dies geschieht, wird die Sacherkenntnis preisgegeben. Mit ihr gehen die Sache selbst (das Recht), die Übereinstimmung der Begriffe mit sich selbst und letztlich jeder inhaltliche Aussagewert verloren. Eine Gesetzgebung, die sich von der natürlichen Begriffswelt und Logik wie von der Wirklichkeit des Menschen lösen zu können glaubt, muß sich in ihren eigenen Schlingen verfangen. Gleiches gilt für Wissenschaft und Rechtsprechung." Diese Darlegungen enthalten bereits, wenn auch noch nicht ganz scharf, die Grundthesen Ernst Wolfs, die er freilich erst nach langjähriger Forschungsarbeit ontologisch begründen konnte.

1961 nannte er die subjektiven Rechte, Rechtspflichten und Rechtsverhältnisse "personhafte Ordnungsverhältnisse, d. h. wirkliche menschliche Beziehungen, die ursächlich hervorgebracht, d.h. von zureichenden Entstehungsgründen erzeugt werden. Ein subjektives Recht besteht hiernach dann, wenn ein Tatbestand vorliegt, der sein Entstehen bewirkt hat." Damit legte er dar, daß die Gegenstände der Rechtswissenschaft real existieren und der Kausalgesetzlichkeit unterliegen. Seinem Bemühen, eine realistische Rechtslehre auszuarbeiten und wissenschaftlich zu begründen, paßte er in den 60er Jahren sein Lehrprogramm an. Er hielt Vorlesungen über "Grundlehren des Rechts und der juristischen Methodik", dann über "Grundfragen des Rechts und der juristischen Methodik" mit dem Untertitel "Ontologische und logische Fragen"; schließlich las er im Sommersemester 1968 "Allgemeine Rechtslehre (Rechtsphilosophie)". Damit lag sein realistisches System in den Grundlagen komplett vor, bedurfte aber noch der Einzelausarbeitung. Er hatte in den mehr als zehn Jahren intensiven Forschens weit ausgeholt; von der Definition des Begriffs Sein aus hatte er eine realistische Erkenntnis- und Wissenschaftslehre und seine "Reale Rechtslehre" aufgestellt. Eine erste Zusammenfassung seiner Erkenntnisse legte er 1971 in der ersten Auflage seines Lehrbuchs des Sachenrechts vor; 1973 erschien die erste Auflage seines "Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts"; 1978 folgten die beiden Bände seines Lehrbuchs des Schuldrechts. Eine Zusammenfassung seiner Wissenschaftslehre enthält das Buch "Gibt es eine marxistische Wissenschaft?" (1980), in dem er sich mit Hegel und Kant auseinandersetzt, auf deren Philosophie nach ihm die herrschende Rechtslehre beruht. Mit dieser hat er sich auch in seinem "Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts", der in dritter Auflage (1982) vorliegt, und in seinem Buch "Das Recht zur Aussperrung" (1981) eingehend befaßt.

Einen wichtigen Teil seiner Forschungsarbeiten hat Ernst Wolf dem Familienrecht, insbesondere dem Eherecht, gewidmet. Mit zahlreichen grundlegenden Arbeiten griff er dabei wirksam in die Diskussion der 70er Jahre um die Reform des Ehe- und Familienrechts ein.

Im Gegensatz zur herrschenden Rechtsauffassung lehrt Ernst Wolf, daß die "rechtlichen Verhältnisse", nämlich die subjektiven Rechte, Rechtspflichten und Rechtsverhältnisse, real (d. h. bewußtseinsunabhängig) existieren und als solche auf Grund Wahrnehmung wissenschaftlich erkannt werden können. Er nennt die rechtlichen Verhältnisse "personhafte Ordnungsverhältnisse". Ein "Ordnungsverhältnis" ist nach ihm ein Verhältnis "mit dem Inhalt, das Entstehen, Erhalten, Entfalten oder Vermehren eines Seienden zu bedingen". Ein "personhaftes" Ordnungsverhältnis ist ein "der Eigenschaft des Menschen als Person inhaltlich entsprechendes Ordnungsverhältnis. Ein Mensch, der sich einem anderen gegenüber rechtmäßig verhält, wahrt damit die für diesen personhaft ordnungsgemäß bestehenden objektiven Entscheidungsmöglichkeiten. Damit wahrt er dessen Möglichkeiten personhaften Existierens und verhält sich entsprechend dessen Eigenschaft als Person. Ein Mensch, der sich einem anderen gegenüber unrechtmäßig verhält, entzieht diesem personhaft zustehende Entscheidungsmöglichkeiten und beeinträchtigt damit dessen Möglichkeit, als Person zu existieren." Grundlage der "Realen Rechtslehre" Ernst Wolfs ist, daß es natürliche, von niemandem hergestellte und von niemandem zu beseitigende rechtliche Verhältnisse gibt. Das ist nach ihm darin begründet, daß ein Mensch "die objektive Möglichkeit hat, durch Handeln in einem anderen oder in äußeren Bedingungen dessen Existierens einen Erfolg zu bewirken". Ein "natürliches rechtliches Verhältnis" entsteht deshalb "zwischen zwei Menschen allein dadurch, daß es einem von ihnen möglich ist, in dem anderen oder in äußeren Bedingungen dessen Erhaltens, Entfaltens und Fortpflanzens durch eine Handlung einen Erfolg herbeizuführen. Es entsteht mithin allein aufgrund der natürlichen Eigenschaft der Menschen als Personen, also natürlich." Aus den natürlichen rechtlichen Verhältnissen, zu denen Ernst Wolf insbesondere die Menschenrechte zählt, sind alle anderen rechtlichen Verhältnisse, die "hergestellten rechtlichen Verhältnisse", abgeleitet. Wie die real existierenden natürlichen und hergestellten rechtlichen Verhältnisse - nur das sind nach Ernst Wolf die Gegenstände der Rechtswissenschaft - wissenschaftlich, d. h. "nach Gesetzen oder gesetzesähnlichen Regeln methodisch beweisend und vollständig auf Erfahrung gegründet (Empirismus)", erkannt werden können, legt er in seinem "Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts" dar. Die "Reale Rechtslehre" Ernst Wolfs unterscheidet sich damit grundlegend von der herrschenden (idealistischen) Rechtslehre, nach der die Gegenstände der Rechtswissenschaft (nur) im Bewußtsein oder "ideal" existieren und nach der Rechtserkenntnis schöpferisch, nämlich ein Bewertungsakt ist, bezüglich dessen "in der Wissenschaft die Meinung überwiegt, daß 'Werten' ein Akt persönlicher Stellungnahme sei, der einer rationalen Begründung nicht zugänglich ist" (Larenz).

(aus: Recht und Rechtserkenntnis, Festschrift zum 70. Geburtstag,
hrsg. von Dietrich Bickel, Walther Hadding und Gerhard Lüke, Köln u.a. 1985, Zum Geleit)